Neurodiverse Bewegtbilder. Über das Spektrum audiovisueller, künstlerischer und vernetzter Interventionen

Gemeinsamer Workshop der AG Fernsehen und der AG Medienwissenschaft und Dis/Ability Studies im Rahmen der Ausstellung Haupt- und Nebenwege von akku e.V. - Autismus, Kunst und Kultur.

 

Ort: Artothek, Hannover

Datum: 11.-12. Mai 2023

Deadline: 15.03.2023

 

 

Die AG Fernsehen und die AG Medienwissenschaft und Dis/ability Studies der Gesellschaft für Medienwissenschaft widmen sich in einem gemeinsamen Workshop dem Thema audiovisuelle Medien und Behinderung bzw. Medien und Neurodivergenz, um Fragen der Repräsentation, Rezeption, und der Ästhetik von Darstellungen von Neurodivergenz in Formaten des Fernsehens und anderen Medien und anderer Plattformen zu diskutieren.

Medien sind Orte, an denen Wissen über Nicht/Behinderung produziert wird, an denen Nicht/Behinderung definiert und konstruiert wird. Mediale Interfaces und Operationen implizieren Nutzer*innen mit bestimmten körperlichen, sinnlichen und mentalen Fähigkeiten, sie adressieren Zuschauer*innen als Nicht/Behinderte, eröffnen Räume der Teilhabe und ziehen zugleich ihre Grenzen und bestimmen auf diese Weise mit, was es bedeutet, nicht/behindert zu sein.

Medien produzieren also Nicht/Behinderung, und zwar nicht nur durch textuelle oder audiovisuelle Darstellungen, sondern durch ihre Operationen und Dispositive ebenso wie hinsichtlich ihrer institutionellen, juridischen und politischen Dimensionen (Mills/Sterne 2017). Insofern stellt die Auseinandersetzung mit Darstellungsweisen, der Repräsentation von Nicht/Behinderung aus der Perspektive einer Medienwissenschaft, die sich den Problemstellungen der kritischen Disability-Forschung öffnet, notwendigerweise eine Kernfrage dar. Kritische Analysen von Unter- und Misrepräsentationen, stereotypen und stigmatisierenden Darstellungsweisen von Behinderung (Conn/Bughra 2012) gehen hier mit der Forderung nach Diversität und erhöhter Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung sowie der Thematisierung ihrer Belange einher.

Für die kritische Disability-Forschung ist zudem die zweite, die politische Bedeutungsebene von Repräsentation zentral. Politische Repräsentation ist für behinderte Menschen in Vergangenheit und Gegenwart ein essentielles Problem, Mitsprache und Teilhabe an Entscheidungs- und Aushandlungsprozessen stellen seit Jahrzehnten Kernthemen der Behindertenbewegung und ihrem akademischen Zweig dar. Fragen, die sich hier stellen, berühren allerdings nicht nur die Repräsentation, sondern auch so etwas wie eine Ästhetik der Neurodivergenz, die mit den bestimmenden Eigenschaften von Medien wie dem Fernsehen korrelieren können: Wie wird Nicht/Behinderung ins Bild gesetzt, d.h. was sind die ästhetischen und formalen Mittel, etwa die schauspielerische Verkörperung oder besondere stilistische Merkmale der Darstellungsweise? Und was wird überhaupt als Behinderung (‘nicht-normal’) repräsentationslogisch definiert? Wofür steht Behinderung in spezifischen Fernseh-, Filmproduktionen bzw. künstlerischen Interventionen, etwa metaphorisch oder allegorisch? Welche Funktion hat Behinderung für eine bestimmte Fiktion/Narration/Dramaturgie? In welchem Verhältnis steht die Verhandlung einer bestimmten Behinderung zu medialen Eigenlogiken, etwa temporalen Strukturen, Formatanforderungen oder grundlegenden Eigenschaften wie Serialität und flow?

Der Workshop wird sich dieser Gemengelage zwischen Behinderung, Medien und Fernsehen anhand eines Phänomens widmen, dem anders als körperlichen, psychischen oder kognitiven Behinderungen gerade in der jüngeren Vergangenheit eine größere mediale Aufmerksamkeit zuteil wird: der Neurodivergenz bzw. Neurodiversität. Neurodiversität, ein Begriff der ursprünglich von autistischen Aktivist*innen entwickelt wurde, um Autismus und andere Formen neurologischer und mentaler Seinsweisen, etwa ADHS, zu entpathologisieren, umschreibt eine Gruppe von Behinderungen, die überwiegend unsichtbar sind oder spezifische Formen der Sichtbarkeit hervorbringen, was sie für die Untersuchung ihrer Darstellungsweisen besonders herausfordernd macht. Auch die Bücher von Judy Singer und Steve Silberman haben zur Popularisierung des Konzepts der Neurodiversität beigetragen. Neben klassischen - und oft problematischen Spielfilmen - hat insbesondere die zeitgenössische Serien- und Filmkultur eine ganze Reihe von neurodivergenten Charakteren in den Fokus gerückt (Osteen 2008; Pomerance 2022). Diese Produktionen imaginieren Neurodivergenz oft vor der Negativfolie des Neurotypischen. Neben klassischen - und oft problematischen Spielfilmen - hat insbesondere die zeitgenössische Serien- und Filmkultur eine ganze Reihe von neurodivergenten Charakteren in den Fokus gerückt (Osteen 2008; Pomerance 2022). Diese Produktionen imaginieren Neurodivergenz oft vor der Negativfolie des Neurotypischen.

Zudem ist an die Rezeption dieser Produktionen zu denken und der Umstand ihrer Zugänglichkeit zu reflektieren: wo sind Räume zu finden, in denen neurodivergente Menschen willkommen sind und wie werden diese gestaltet (Alper 2021)? Ebenso sind die Frage der Teilhabe, die Partizipationspraktiken im Zusammenhang von neurotypischen bzw. neurodiversen TV-, Film- oder Kunstproduktionen von Interesse, da diese Fragen gegenwärtig kontrovers diskutiert werden.

 

Gewünscht sind Beiträge, die sich unter anderem mit folgenden Themen beschäftigen können, wobei andere Vorschläge ebenfalls willkommen sind:

• Verhältnis von Neurodiversität und Fernsehserien

• Wie fließt Neurodivergenz in die ästhetische Darstellung ein, gibt es eine Ästhetik der Neurodivergenz oder von Autismus?

• Neurodiversität, Queerness und Bewegtbilder

• Neurodivergente und autistische Kunstproduktion im Kontext audiovisueller Medien (z.B. Video- und Medienkunst)

• Partizipation autistischer und neurodivergenter Menschen im Bereich TV, Film und Kunst (als Schauspielende, Regisseur*innen, Künstler*innen, Kurator*innen usw.)

• Neurodiversität und das Gegenwartskino (seit 2000) • Filmische Produktion von autismus-freundlichen / neurodiversen Räumen

• Gestaltung und Zugang von bzw. zu autismus-freundlichen / neurodiversen Räumen (u.a. Kinos, Gallerien, Museen)

• Ästhetisierung und künstlerische Bearbeitung von autistischen Blickregimen, körperlichen und weiteren sensorischen Praktiken in audiovisuellen Medien

• Visuelles Empowerment durch und mit Social Media für weitere Themenverschläge

 

Der Workshop richtet sich an Wissenschaftler*innen aller Karrierestufen, besonders willkommen sind Einreichungen von Doktorand*innen, Postdocs, aber auch von fortgeschrittenen Masterstudierenden. Reise- und Übernachtungskosten können im Einzelfall bezuschusst werden: Benötigt wird in diesen Fällen eine kurze Begründung sowie eine Schätzung der Kosten. Vorschläge für Vorträge sind bis zum 15.03.2023 in der Form eines Abstracts (max. 300 Wörter) und einer kurzen biographischen Angabe (ca. 100 Wörter). Bitte nutzen Sie dafür folgendes Formular zur Einreichung.

Kontakt:

neurodiverse-bilder [at] gmx.de

Der Workshop wird im Rahmen der von „akku e.V. – Autismus, Kunst und Kultur“ und Anke Pauli organisierten Ausstellung „Haupt- und Nebenwege“ mit Werken von autistischen Künstler:innen in der Arthothek Hannover stattfinden.

Organisation:

Daniela Wentz (Ruhr-Universität Bochum), Robert Stock (Humboldt-Universität zu Berlin), Markus Spöhrer (Universität Konstanz), Katja Hettich (Universität Weimar), Jana Zündel(Universität Frankfurt), Christine Piepiorka (University of Applied Science Iserlohn), Herbert Schwaab (Universität Regensburg)

 

 

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